Psychiatrie/Psychosomatik

Projekt zur Operationalisierung der regionalen Pflichtversorgung in der Psychiatrie und Psychosomatik

Der Begriff der „regionalen Pflichtversorgung“ wird zur Festlegung von qualitätsorientierten Personalvorgaben immer wieder als relevanter Faktor angeführt. So wurde bei Einführung der Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses mangels Alternativen die Regelung zur Berücksichtigung der regionalen Pflichtversorgung aus der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) übernommen. In den Mindestvorgaben der PPP-RL werden seit Inkrafttreten im Jahr 2020 bei Einrichtungen der Erwachsenenpsychiatrie, der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Psychosomatik 10 % von den Minutenwerten der Personalmindestvorgaben abgezogen, wenn sie keine regionale Versorgungsverpflichtung übernehmen. Dieser Wert kommt pauschal bei allen Krankenhäusern zum Tragen, die sich entsprechend einer Selbstauskunft nicht als Pflichtversorger in ihrer Region einschätzen. Die aktuelle Regelung sieht also vor, dass sich der Status als Pflichtversorger auf den Umfang der erforderlichen Personalausstattung auswirkt, wobei der 10 %-ige Abzug von den Minutenwerten vollumfänglich auf alle Behandlungsfälle einer Einrichtung angewendet wird.

Um der Selbsteinschätzung und dem pauschalen Abzug ein objektiveres Instrument zur Bestimmung des Pflichtversorgerstatus gegenüberzustellen, hat die DKG die Universität Regensburg mit einem „Projekt zur Operationalisierung der regionalen Pflichtversorgung in der Psychiatrie und Psychosomatik“ (RePPP) beauftragt. Gegenstand des Auftrags war eine bundesweite Prüfung eines zuvor von Ziereis et al. (2020) entwickelten Ansatzes für eine Operationalisierung der regionalen Pflichtversorgung mithilfe von verschiedenen differenzierten Werten zur Beschreibung der Pflichtversorgung (sog. Indexwerte). Hierfür wurden aus Routinedaten die verschiedenen Indexwerte von allen teilnehmenden Einrichtungen ermittelt und anschließend durch Rückmeldungen der Einrichtungen validiert. Das umfangreiche Projekt wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren und mit breiter Unterstützung der Krankenhäuser umgesetzt.

In dem vorliegenden Abschlussbericht  ist das Vorgehen des Projekts RePPP detailliert dargestellt. Es werden die Ergebnisse mit umfangreichen Grafiken präsentiert und einzelne Aspekte des vorgestellten Modells beleuchtet. Ferner werden die Möglichkeiten und Grenzen einer Anwendung sowohl innerhalb der PPP-RL als auch für andere Zwecke beschrieben. Im Ergebnis konnte der wissenschaftliche Ansatz von Ziereis et al. bestätigt werden. Allerdings verbleiben offene Fragen, sodass eine zeitnahe Verwendung des Modells in der PPP-RL nicht möglich ist. Hierzu sind neben Fragen zur praktischen Umsetzung von bundesweiten Indexberechnungen insbesondere geeignete Instrumente zu entwickeln, die eine Nutzung der Indexwerte im Rahmen der PPP-RL ermöglichen. Ebenso ist eine unkritische Übernahme der Indexwerte für Anwendungen außerhalb der PPP-RL nicht möglich. Die Sinnhaftigkeit und die Auswirkungen der Indexwerte müssen für jedes Anwendungsgebiet sorgfältig geprüft und eine geeignete Transformation der Indexwerte für die jeweilige Anwendung entwickelt werden. Ferner ist zu beachten, dass mit den Indexwerten keine Legaldefinition von regionaler Pflichtversorgung erfolgt und auch nicht erfolgen soll. Die übertragenen Aufgaben im Rahmen landesrechtlicher Verpflichtungen werden davon nicht berührt. Die DKG möchte mit der Veröffentlichung des Abschlussberichts einen Diskussionsbeitrag leisten und zur Versachlichung der Diskussionen über Fragen der regionalen Pflichtversorgung beitragen.

 

Projekt RePPP
Ergänzende Erläuterungen zum Abschlussbericht

Betrachtung von Psychiatrie und Psychosomatik

Im Projekt RePPP wurden bei der Indexbestimmung verschiedene Varianten unter Betrachtung bzw. Einbezug der psychosomatischen Fachabteilungen vor Ort betrachtet. Letztlich wurde eine gemeinsame Betrachtung von Psychiatrie (PSY) und Psychosomatik (PSO) favorisiert (vgl. Abschlussbericht Kapitel 4.2.4, S. 51). Dies geschah u. a. aufgrund der Annahme, dass bei PSY-Einrichtungen mit PSO-Fachabteilung alle Fachabteilungen für die Pflichtversorgung relevant sind und eine Abgrenzung daher nicht sinnvoll wäre. Im Abschlussbericht kommen die Wissenschaftler zudem zu dem Ergebnis, dass auch bei dieser Variante eine hohe Differenzierung der Indexwerte erzielt werden kann. Bei der Entscheidung für eine Variante müssten neben der ermittelten Passgenauigkeit, auch versorgungspolitische Aspekte zur Einbindung von Fachabteilungen für Psychosomatik berücksichtigt werden. Die Basisvariante (PSY versus PSY) wäre ebenfalls umsetzbar. Bei einer isolierten Betrachtung der Psychiatrie ist mit etwas trennschärferen Indexwerten zu rechnen. Allerdings müsste für eine „Echtanwendung“ dieser Basisvariante die Anwendung der Fachabteilungsschlüssel Psychiatrie und Psychosomatik bundeseinheitlich geregelt werden. Zudem müsste anerkannt werden, dass eine PSO-Fachabteilung selbst an einer PSY-Einrichtung mit anerkannter Pflichtversorgung nicht der Pflichtversorgung zugerechnet wird.

Betrachtung von vollstationärer und teilstationärer Versorgung

Eine weitere Variante zur Indexbestimmung war die Betrachtung bzw. Einbezug unterschiedlicher Settings vor Ort. Dabei wurde letztendlich eine gemeinsame Betrachtung von teilstationärer und vollstationärer Versorgung favorisiert (vgl. Abschlussbericht Kapitel 4.4.4, S. 114). Eine grundsätzliche Ausklammerung der teilstationären Fälle und Tageskliniken kam nicht in Betracht, da auch diese für die Pflichtversorgung relevant sein können und bei Einrichtungen mit anerkannter Pflichtversorgung grundsätzlich der Pflichtversorgung zuzuordnen sind. Zudem hat sich in den Analysen gezeigt, dass auch bei einer gemeinsamen Betrachtung plausible Ergebnisse zu erwarten sind, da der Gesamtindexwert bei gemischten Standorten lediglich geringfügig sinkt. Zudem wird somit auch der Stellenwert von eigenständigen Tageskliniken für die Pflichtversorgung erfasst (mit überwiegend, aber nicht immer niedrigen Werten).

Mögliche Anwendung in der PPP-RL

Bezüglich einer möglichen Implementierung der Ergebnisse des Projekts RePPP in die PPP-RL ist zunächst zu diskutieren, ob die Abschlagssystematik beibehalten oder auf eine Zuschlagssystematik umgestellt werden sollte. Eine Zuschlagsregelung wird von einigen betroffenen Einrichtungen als Anerkennung des mit der Pflichtversorgung verbundenen Mehraufwandes verstanden. Die PPP‑RL regelt allerdings sanktionsbewährte Mindestanforderungen, so dass vor allem die Auswirkungen in der Praxis zu berücksichtigen sind. Bei Umstellung auf eine Zuschlagssystematik müssten die Minutenwerte zunächst abgesenkt werden, um grundsätzlich von einer Einrichtung ohne Pflichtversorgung ausgehen zu können. Die Indexwerte müssten anschließend so in Zuschläge transformiert werden, dass insgesamt das derzeitige Niveau der Mindestanforderungen erreicht wird. In der Konsequenz bedürfte es vielfältiger weiterer Anpassungen, beispielsweise in den Nachweisen zur Datenübermittlung. Eine dichotome Anwendung der Indexwerte (Pflichtversorger Ja/Nein) wäre kaum sinnvoll, da die unterschiedlichen Ausprägungen von Pflichtversorgung nicht berücksichtigt werden. Bei einer graduellen Anwendung der Indexwerte wäre dies (mit einer geeigneten Transformation) durchaus möglich. Im Ergebnis hat das Projekt gezeigt, dass die Indexwerte sowohl für eine dichotome als auch graduelle Beschreibung von Pflichtversorgung genutzt werden können. Die Frage, ob ein Zu -oder Abschlag geeigneter ist, ist keine Frage der Indexwerte und an anderer Stelle zu klären. Zudem muss in der Diskussion über eine geeignete Kombination auch die Praktikabilität und der Umsetzungsaufwand bei einer Echtanwendung berücksichtigt werden.

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