Gastbeitrag von Dr. Gerald Gaß in der Rheinischen Post

Wer die Impfung ablehnt, muss sich auch mit den Konsequenzen auseinandersetzen

Während andere Länder in Europa wie Portugal, Spanien oder Italien durch eine hohe Impfquote die Pandemie ganz offensichtlich hinter sich lassen können, stecken wir in Deutschland fest in einer weiteren Pandemiewelle, die wahrscheinlich alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Deutschland testet erneut die Grenzen seines Gesundheitssystems aus, und ein Teil der Bevölkerung scheint dies nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Auch das beste Krankenhaussystem kann die Folgen dieser Katastrophe nicht verhindern.

Die Fakten lassen sich nicht wegdiskutieren. Die bisher stärkste Pandemiewelle hat Deutschland im Januar 2021 getroffen. Damals gab es noch keinen Impfschutz für die Bevölkerung. Jetzt, zehn Monate später, stünden uns alle Möglichkeiten zur Verfügung, wenn wir sie nur nutzen würden. Tatsächlich laufen wir aber wieder in das exakt gleiche Szenario hinein, wie zu Beginn des Jahres. Bayern hat schon seit einigen Tagen alle maximalen Spitzenwerte der Krankenhaus- und Intensivbelegung mit Corona-Patienten überschritten. Weitere Bundesländer werden in den nächsten Tagen folgen. Die Folgen für die Patientinnen und Patienten jenseits der Pandemie sind ebenso dramatisch wie tragisch. 75 Prozent aller Krankenhausstandorte mit Intensivstationen melden heute einen nur noch eingeschränkten Betrieb. Konkret heißt das, dass wir wie im Januar 2021 erneut fast jeden dritten Patienten im Regelsystem nicht versorgen können. Wir werden rund 20 Prozent weniger Darmkrebs-Operationen durchführen und etwa 7 Prozent weniger Operationen bei Frauen mit Brustkrebs. Die Situation, auf eine Warteliste gesetzt zu werden, ist für jeden und jede einzelne Krebspatientin psychisch und körperlich schwer zu ertragen. Jeder vierte Patient, der für eine orthopädische Operation vorgesehen war, muss erneut viele Monate auf die schmerzlindernde Behandlung warten. Die Notfallversorgung von Herzinfarkt- und Schlaganfall-Patienten ist vielfach heute schon durch längere Fahrzeiten zu entfernt liegenden Krankenhäusern deutlich eingeschränkt. Es werden mehr Menschen in dieser Notfallsituation sterben, als dies normalerweise der Fall ist, und es werden mehr Menschen lebenslang schwere Folgeschäden zum Beispiel bei einem Schlaganfall davontragen, als dies bei einer schnellen Therapie sein müsste. Die Kliniken verlieren jeden Tag Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den hoch belasteten Intensivstationen, weil sie den Druck nicht mehr aushalten. Unser System wird dadurch dauerhaft geschwächt.

Dies alles sind die unmittelbaren Folgen einer unzureichenden Impfquote und der daraus resultierenden hohen Infektionszahlen mit schweren COVID-19-Verläufen. Jeder einzelne Ungeimpfte muss sich diese Situation vor Augen führen und persönlich die Frage stellen, welchen Beitrag er oder sie zur Beendigung dieser dramatischen Zustände leisten kann und will. Leider gehört zu dieser bitteren Erkenntnis auch, dass wir wegen der fehlenden Einsicht bei einem Teil der Bevölkerung diese Pandemie ohne eine allgemeine Impfpflicht nicht hinter uns lassen werden. Die Politik sollte den Mut haben, diese Entscheidung zu treffen.

 

Teilen mit:

|