Die Notwendigkeit einer umfassenden Krankenhausstrukturreform ist unstrittig. Der vorliegende Entwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG), der voraussichtlich kommende Woche im Bundeskabinett beschlossen werden soll, ist aber an vielen Stellen nicht durchdacht und droht die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu verschlechtern. Deshalb braucht es vor einem Kabinettsbeschluss eine umfassende Auswirkungsanalyse der Reformpläne. Anderenfalls werden die Krankenhausstrukturen im Blindflug umgebaut und die Patientinnen und Patienten haben in vielen Regionen das Nachsehen.
„Die Gesundheitsversorgung ist ein zu hohes Gut, als dass wir sie zu einem Experimentierfeld machen dürfen. Es bleibt weiterhin völlig unverständlich, warum sich Minister Lauterbach weigert trotz seiner Zusage gegenüber den Bundesländern, eine echte Auswirkungsanalyse vorzulegen. Genau diesen Punkt haben auch alle Bundesländer, egal in welcher Regierungskonstellation, in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum KHVVG eingefordert. Alle politischen Entscheidungsträger, der Bundestag, die Länder, aber auch das Kabinett in der nächsten Woche, vor allem aber die Bevölkerung haben ein Recht zu erfahren, wie die zukünftige Versorgung aussehen würde, wenn die Reformpläne des Bundesgesundheitsministers Wirklichkeit würden. Von überzogen zentralistischen Vorgaben für die Krankenhausplanung bis hin zu massiven Veränderungen der Krankenhausfinanzierung will der Bund mit seiner Reform gestaltend in die zukünftigen Strukturen der Krankenhausversorgung eingreifen. Wer darf unter welchen Bedingungen welche Fachdisziplinen und Behandlungen noch anbieten? Wer erhält zukünftig in welchem Umfang eine Refinanzierung seiner Behandlungsangebote? All das will Karl Lauterbach in seinem nicht zustimmungspflichtigen Gesetz bundeseinheitlich festlegen. Die Experten sind sich einig, wenn die Reform so kommt, wie im aktuellen Entwurf vorgelegt, wird das zu gewaltigen Veränderungen der Versorgungslandschaft führen. Wir haben während des gesamten Reformprozesses immer wieder auf die zentralen Schwachstellen und Problemfelder der Reform hingewiesen und Alternativen vorgeschlagen. Diese Themen hat Vebeto nun auch mithilfe öffentlich zugänglicher Daten analysiert und mögliche (Fehl-)Entwicklungen aufgezeigt. Die Gesundheitsversorgung hat einen so hohen Stellenwert, dass sie nur gemeinsam reformiert werden kann. Gesundheitsminister Lauterbach muss dem Kabinett und den Ländern genauso wie der Öffentlichkeit reinen Wein einschenken, was die Folgen seiner geplanten Reform betrifft. Deshalb fordern wir eine sofortige und umfassende Auswirkungsanalyse. Wenn der Bundesgesundheitsminister den Bundesländern im Nachgang zum parlamentarischen Verfahren eine Software für ihre Krankenhausplanung zur Verfügung stellen möchte, ist das kein Ersatz für eine umfassende Auswirkungsanalyse im Vorfeld“, erklärte Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Eine genaue Betrachtung des vorliegenden Reformentwurfs ergibt für die Patientinnen und Patienten in Deutschland schwerwiegende Risiken. „Dabei geht es nicht darum, dass sich Krankenhäuser grundsätzlich gegen eine Zentralisierung und Spezialisierung wenden würden. Im Gegenteil, dies fordern wir schon seit 2019. Hier geht es aber um das Wie und um unerwünschte Nebenwirkungen aus dem vorliegenden Gesetzentwurf. Beispielsweise werden Patienten mit seltenen Erkrankungen und sehr komplexem Behandlungsbedarf, längere Wartezeiten befürchten müssen. Dies ergibt sich aus der mangelhaften Konzeption der neuen Vorhaltefinanzierung. Denn die angeblich zur Entökonomisierung und Spezialisierung gedachte Vorhaltefinanzierung wird genau das Gegenteil bewirken. Eine Klinik, die mehr Leistungen anbieten soll und muss, wird in dieser Systematik sogar bestraft, wenn sie nur eine Steigerung von bis zu 20 Prozent erzielt. Dies führt zu genau der gleichen Systematik, die wir bereits aus dem niedergelassenen Bereich kennen. Die Quartalslogik der niedergelassenen Ärzte, Behandlungen zu schieben, ergibt sich aus genau solchen ökonomischen Fehlanreizen. Und sie wird sich im stationären Bereich zwangsläufig ebenfalls durchsetzen müssen. Krankenhäuser werden faktisch durch das politisch gesetzte Finanzierungssystem gezwungen, ihre Behandlungszahlen in bestimmten Zeiträumen und Referenzjahren standortbezogen aus wirtschaftlichen Gründen zu optimieren, wenn sie überleben wollen. Das ist das Gegenteil von Patientenorientierung“, so Gaß.
Die grundsätzliche Kritik an der Vorhaltefinanzierung, die schon in der Auswirkungsanalyse von Vebeto im Januar vorgestellt wurde, bleibt bestehen. Denn an den Regelungen hat sich im Gesetz, anders als vom Minister angekündigt, nichts geändert. Eine Entökonomisierung findet nicht statt. Die Erlöse eines Krankenhauses hängen maßgeblich von der Anzahl der behandelten Patienten ab und werden nicht durch eine Vorhaltefinanzierung grundsätzlich gesichert. Denn auch diese ist fallzahlabhängig ausgestaltet. Auch die vom Minister immer wieder betonte Existenzsicherung für Grundversorgungskrankenhäuser in den Flächenländern kann die Finanzreform nicht leisten. Erlösverluste bei einem allgemeinen Rückgang der Patientenzahl werden nur bedingt oder beim Verlust von Leistungsgruppen überhaupt nicht aufgefangen, die Konzentration von Leistungen in größeren Krankenhäusern wird wie dargestellt sogar finanziell bestraft. Von Entbürokratisierung kann gar nicht gesprochen werden, bleibt doch das existierende DRG-System vollumfänglich erhalten und wird sogar um neue komplexe Regulierungen erweitert.
Diese Fehlanreize werden vor allem in den komplexeren Leistungsgruppen zu Wartelisten führen. Die Auswahlmöglichkeit der Patienten für einen möglichen Behandlungsort wird sich deutlich reduzieren. Zugleich wird diese Konzentration den Fachkräftemangel noch weiter befördern. Das Personal ist keine Verfügungsmasse, die den Strukturüberlegungen am grünen Tisch folgt. Die Logik, das Personal von geschlossenen Standorten automatisch zu anderen Standorten wechseln wird, ist schlicht und ergreifend falsch. Weitere Wege für die Beschäftigten durch sehr umfassende Konzentrationsprozesse werden uns Personal in der Patientenversorgung kosten. Konzentration ist dort richtig, wo sie den Patienten dient. Konzentration um der Konzentration willen, aber verschlechtert die Patientenversorgung.
Auch wird der Fachkräftemangel dadurch verschärft, dass das Gesetz neue bürokratische Aufgaben bereit hält. Das Versprechen des Ministers mit dem Gesetz für eine Entbürokratisierung zu sorgen, wird in keiner Weise erfüllt. Im Gegenteil – der bürokratische Wahnsinn wird in eine neue, noch höhere Entwicklungsstufe befördert.
Gerade in ländlichen Gebieten wird die Reform eine Verschlechterung der Versorgung mit sich bringen. Dem Anspruch, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu sichern, wird der Entwurf nicht gerecht. „Für die Patienten bedeutet das, dass sich nicht nur die Wege für komplexe Erkrankungen deutlich verlängern werden, auch die Basisversorgung an vielen Standorten wird nicht mehr möglich sein. Defizite in der Finanzierung und verschärfte Vorgaben beim Personal sowie fehlende Gestaltungsmöglichkeiten der Länder sind dafür die Ursache“, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende.
Laut dem Referentenentwurf sollen die Bundesländer zwar verantwortlich sein für die Zuweisung von Leistungsgruppen zu den Standorten, dies würde vom Bund aber faktisch durch neu festgelegte sogenannte Mindestfallzahlen ausgehebelt. Standorten, die in einzelnen Jahren diese Mindestfallzahlen unterschreiten, streicht der Bund dann die Vorhaltefinanzierung. Das ist existenzbedrohend und wird gerade für Patienten in dünner besiedelten Regionen zum Problem, da die Krankenhäuser diese Leistungsgruppen aufgrund des unkalkulierbaren Risikos nicht erbringen können.
Zusammenfassend ist die vorliegende Reform wegen eines Übermaßes an Zentralisierung der falsche Ansatz. „Patienten drohen vielfach Versorgungslücken. Wertvolle Strukturen werden zerschlagen, die wir brauchen und Gelder verbrannt. Hinzukommt, dass die Bürokratie weiter zunehmen wird. Es ist nicht verwunderlich, dass die Länder einhellig über alle Parteigrenzen hinweg in ihrer Stellungnahme den bisherigen Reformentwurf ablehnen. Es ist an der Zeit, dass die Bundespolitik sich dieser Wirklichkeit stellt und endlich in ein konstruktiven Reformprozess einsteigt. Der Minister hat durch die Verschiebung der Kabinettssitzung die Chance, die wesentlichen Kritikpunkte auszuräumen und auf die Länder zuzugehen. Dann besteht die Hoffnung, dass eine gemeinsame Reform mit einem Gesetz gelingt, dem die Länder insgesamt zustimmen können“, so Gaß.